Thema des Monats Juni 2024
Mental Stark mit Diabetes umgehen

Mental Stark mit Diabetes umgehen

M.A. Daniel Preuß, Prof. Dr. Wolfgang Knörzer, Prof. Dr. Erhardt Siegel

Inhalt

Einführung in das Angebot am St. Josefskrankenhaus

Das Heidelberger Kompetenztraining

Die Entwicklung des Heidelberger Kompetenztraining

Das Ziel des Heidelberger Kompetenztrainings

Bewusste und unbewusste psychische Prozesse  – Veränderungen effektiv gestalten

Die HKT Strategie

Zielorientierung

Ressourcenaktivierung

Intentionsabschirmung

Das HKT im Handlungsfeld Gesundheit

Exkurs: Das HKT für kardiologische Rehapatienten – Rehaklinik Heidelberg-Königstuhl

Das HKT für Diabetiker – St. Josefskrankenhaus Heidelberg

Transfer in den Alltag

Inhaltsverzeichnis


Einführung in das Angebot am St. Josefskrankenhaus


Das Heidelberger Kompetenztraining

Das Heidelberger Kompetenztraining (HKT) als psychoedukatives Mentaltrainingskonzept, entwickelt unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Knörzer, konnte bereits erfolgreich in der Patientenversorgung an der Rehaklinik Heidelberg-Königstuhl implementiert werden. Im vorliegenden Beitrag wird nun die Innovation eines zeitlich und örtlich unabhängigen Angebotes, welches auf den Erfahrungen an der Rehaklinik Heidelberg Königstuhl aufbaut und Elemente des HKT nutzt, vorgestellt.

Entwickelt wurde das neue Schulungskonzept für Diabetespatienten in Kooperation mit der diabetologischen Tagesklinik am St. Josefskrankenhaus, unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Siegel und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Knörzer.

Bevor das Schulungskonzept erläutert wird, erfolgt zunächst eine Einführung in das HKT, dessen theoretische Grundlagen sowie ein Exkurs in die Umsetzung an der Rehaklinik Heidelberg Königstuhl.

Die Entwicklung des Heidelberger Kompetenztraining

Das Heidelberger Kompetenztraining zur Entwicklung mentaler Stärke (HKT) resultiert aus einem mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Prozess. Anfänglich sollten Sportler:innen und Schüler:innen mittels mentalem Training befähigt werden, ihr persönliches Potenzial zielgerichtet und bewusst abzurufen, also im sportlichen Wettkampf und Prüfungssituationen. Die Erfahrungen aus dem sportorientieren und dem pädagogischen Kontext wurden 2004 in das Pilotprojekt „Integratives Sport- und Lernmentaltraining“ eingebracht. Dabei sollten die Anwendungsfelder nicht mehr wie zuvor getrennt werden, sondern im Rahmen des Klassenverbandes erfolgen. Es zeigte sich, dass nicht nur die jugendlichen Leistungssportler:innen von dem mentalen Training, für den Wettkampf nutzbringend profitierten, sondern ebenfalls deren Mitschüler:innen. Diese Erfahrungen bildeten 2005 die Grundlage und den Startschuss für die Entwicklung des „Heidelberger Kompetenztraining zur Entwicklung mentaler Stärke (HKT)“ an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Knörzer (Amler & Knörzer, 2019).

Seitdem wird das HKT kontinuierlich weiterentwickelt, in unterschiedliche Settings übertragen und evaluiert. Die Settings können wie in Abbildung 1 den folgenden drei Anwendungsfeldern zugeordnet werden.

Abbildung 1- Anwendungsfelder für das Heidelberger Kompetenztraining

In Bezug auf alle drei Handlungsfelder gilt, dass Menschen vor Anforderungen stehen, die es zu bewältigen gilt. Dies kann der sportliche Wettkampf sein, die Klausur oder eine Präsentation, aber auch medizinische Diagnosen, die eine Verhaltensmodifikation notwendig machen. Grundsätzlich kann man sagen, dass das HKT als psychoedukatives Mentaltrainig immer dann hilfreich ist, wenn es darum geht, Anforderungen zu bewältigen.

In diesem Sinne wird im folgenden Abschnitt die Zielsetzung des HKT erläutert.


Das Ziel des Heidelberger Kompetenztrainings

Das Ziel des Heidelberger Kompetenztrainings ist es, Menschen zu befähigen, Anforderungssituationen als Herausforderung anzunehmen und ressourcenorientiert zu bewältigen.

In Anlehnung an die Sportpsychologen Ulrich Kuhl und Peter Schulz (2010), ist die Unterscheidung zwischen Anforderung und Herausforderung von zentraler Bedeutung, denn die Anforderung kann ebenfalls als Bedrohung wahrgenommen werden. Die Wahrnehmung einer Situation als Herausforderung oder Bedrohungssituation ist dabei von großer Bedeutung, denn sie wirkt sich direkt auf das menschliche Denken und Handeln aus.

Im sportlichen Kontext kann die gefühlte Bedrohung dazu führen, dass im Training entwickelte Automatismen unsicher werden und Handlungen nicht reibungslos ablaufen. Die psychische Energie, die eigentlich zur Bewältigung der Aufgabe notwendig wäre, ist auf die negativen Konsequenzen wie Ansehensverlust, Verletzungspotentiale, oder finanzielle Verluste gerichtet.

Nun sind die beschriebenen Effekte nicht nur für den sportlichen Wettkampf relevant, sondern können auf alle HKT-Handlungsfelder und die dortigen Anforderungssituationen übertragen werden, denn die Art und Weise wie diese erlebt werden, wirkt sich, bevor man die Handlungen beobachten kann, auf das menschliche Lernen und die Weiterentwicklung aus. Negative Emotionen wie man sie in Bedrohungssituationen erlebt, reduzieren nach Barbara Fredrickson (2011, S. 35) die Fähigkeit, Handlungsalternativen zu entwickeln, denn sie reduzieren den Denk- und Handlungsspielraum. Zudem behindern sie den Aufbau neuer Fähigkeiten, neuen Wissens und auch sozialer Ressourcen.

Die Relevanz, wie Anforderungen erlebt werden, wird noch klarer, wenn man die Effekte auf neurologischer Ebene betrachtet.

Der Neuropsychologe Klaus Grave (2004) bezeichnet diese Situationen als Inkongruenzsituationen (Anforderung). Charakteristisch für diese Situationen ist die Abweichung zwischen einer wahrgenommenen Ausgangssituation (Ist) und angestrebten Zielen (Soll). Die folgende schematische Abbildung lässt sich dabei auf alle Lebensbereiche übertragen, egal ob diese schulischer, beruflicher, sportlicher oder wie im Kontext dieses Artikels gesundheitlicher Natur sind.

                                                              

Abbildung 2: Schematische Darstellung von Inkongruenzsituationen

Im Kontext des vorliegenden Artikels ist die Diagnose Diabetes (Ist) eine Inkongruenzsituation, denn ohne entsprechende Maßnahmen (Verhaltensmodifikation) ist die zukünftige körperliche Gesundheit (Soll) in Gefahr.

Sind Kompetenzen und Bewältigungsstrategien vorhanden, so wird die beschriebene Situation als kontrollierbare Inkongruenzsituation (Herausforderung) empfunden. Kann die Inkongruenzsituation erfolgreich bewältigt werden, so stabilisieren sich die bei der Bewältigung aktivierten neuronalen Verbindungen, und die Entstehung neuer neuronaler Verbindungen wird begünstigt. Kann die Situation wiederholt bewältigt werden, so werden die den Bewältigungsstrategien zugrundeliegenden, neuronalen Erregungsmuster gefestigt, bis die Situation nicht mehr als Inkongruenzsituation wahrgenommen wird (Grawe, 2004, S. 239 ff.).

Es ist also wichtig, dass Inkongruenzsituationen (Anforderungen) als kontrollierbar erlebt werden.

Zu erreichen ist dies – neben dem notwendigen Wissen und Können – durch die im HKT vermittelten Selbstregulations-/oder Umsetzungskompetenzen. Bei deren Vermittlung werden bewusste und unbewusste psychische Prozesse beachtet, denn sie können sich auf Veränderungsprozesse sowohl förderlich als auch hemmend auswirken. Aufgrund deren Wichtigkeit für Lern- und Veränderungsprozesse wird deshalb das folgende Kapitel eingeschoben, bevor die HKT-Strategie erläutert wird.


Bewusste und unbewusste psychische Prozesse  – Veränderungen effektiv gestalten

„Die Aussage „Sport treiben ist gesund“ wird zwar kognitiv von vielen Menschen bejaht, ist also kognitiv mit einer positiven Einstellung versehen. Dies führt aber keineswegs automatisch dazu, dass aus dieser Einstellung auch sportliche Handlungen resultieren“ (Storch, 2009, S. 195).

Zu erklären ist das beschriebene Phänomen mit den Auswirkungen bewusster und unbewusster psychischer Prozesse. Einen Zugang zu der Funktionsweise dieser Prozesse bietet die Persönlichkeits-System-Interaktionstheorie (PSI-Theorie) von Julius Kuhl (2001). In der PSI-Theorie werden vier psychische Erkenntnissysteme beschrieben, die Menschen zur Verfügung stehen, um die Welt zu erfassen und zu verarbeiten. Für den vorliegenden Beitrag sind dabei zwei Systeme von herausgehobener Bedeutung – das Intentionsgedächtnis (IG) und das Extentionsgedächtnis (EG).

Kuhl und Strehlau (2009) beschreiben das Intentionsgedächtnis (IG) als System, welches logisch-rational arbeitet. Hier sind alle bewussten Absichten eines Menschen gespeichert und können durch die Anbindung an den linken präfrontalen Cortex verbalisiert werden. In seiner Funktionsweise ist es dabei darauf ausgerichtet, Handlungen vorzubereiten und im richtigen Moment zur Umsetzung zu bringen. Gerade in der Konfrontation mit Störungen, Hindernissen und Zielkonflikten ist das IG von Bedeutung, denn es ermöglicht, die Zielintention so lange wie nötig aufrechtzuerhalten, bis eine Lösung gefunden ist, oder sich die passende Gelegenheit für zielrealisierendes Handeln ergibt. Der Zugang zum IG ist dabei bewusst – Prozesse können sprachlich ausgedrückt und reflektiert werden.

Das EG verbindet alle individuellen Erfahrungen, Bedürfnisse, Ängste, Vorlieben und Werte in assoziativen Netzwerken und verknüpft diese mit Gefühlen. Damit ist die Funktionsweise des EG nicht wie beim IG logisch-rational, sondern ganzheitlich und integrierend, und ist laut Kuhl für alle menschlichen Handlungs- und Entscheidungsprozesse unabdingbar. Im Gegensatz zum IG erfolgt der Zugang zum EG auf körperlich-emotionaler Ebene. Dies gelingt mittels der sogenannten somatischen Marker (Damasio, 1994), also körperlich-affektiven Wahrnehmungen. Typische somatische Marker sind zum Beispiel das gute oder schlechte Bauchgefühl, die Last der Verantwortung, die auf den Schultern liegt, oder das vor Freude hüpfende Herz. Diese somatischen Marker ermöglichen einen bewussten Zugang zu den im EG abgespeicherten Lebenserfahrungen und -situationen. Sobald man mit ähnlichen Situationen konfrontiert wird, sendet das EG, auf Grundlage früherer Erfahrungen, einen positiven oder negativen somatischen Marker. Die daraus folgenden Empfindungen und Emotionen bewirken, dass sich der Mensch der aktuellen Situation entweder annähernd, oder vermeidend ausrichtet, und haben so einen großen Einfluss auf das folgende Denken und Handeln.

Entsprechend der theoretischen Ausführungen über bewusste und unbewusste Prozesse ist nun klar, weshalb rein kognitiv positive Einstellungen nicht ausreichen.

„Sportliche Handlungen lassen sich nur bei Menschen nachweisen, bei denen die Vorstellung, Sport zu treiben, auch mit positiven Affekten verknüpft ist. Fehlen diese Affekte oder finden sich gar starke negative Affekte, so resultiert aus der positiven kognitiven Einstellung kein entsprechendes Handeln“ (Storch, 2009, S. 195).

Übertragen auf die durch das HKT unterstützte Verhaltensveränderung ist es also wichtig, sowohl das Intentionsgedächtnis als auch das Extentionsgedächtnis einzubeziehen. Dies geschieht durch logisch-rationale (IG) sowie bildhaft-metaphorische, körperlich-emotionale Prozesse und Methoden, und wird in jedem Schritt der HKT-Strategie berücksichtigt.


Die HKT Strategie  

Grundsätzlich verfolgt das HKT die Strategie der Lösungsorientierung. Im Rahmen der Zielorientierung erfolgt die Zielsetzung also nicht auf der Grundlage einer Ursachenanalyse (Problemorientierung), sondern auf der Frage nach der Lösung (Knörzer, 2019, S. 42 f.).


Zielorientierung

Ausgehend von einer Anforderung (Inkongruenzsituation) wird im HKT zunächst das angestrebte Ziel formuliert. Dabei folgt die Zielformulierung bestimmten Kriterien.

1.     Ziele sind als Annäherungsziele und nicht als Vermeidungsziele zu formulieren.[1]

2.     Sie müssen „SMART“ Kriterien entsprechen.[2]

3.     In Anlehnung an Maja Storch werden sogenannte Motto-Ziele erarbeitet.[3]

Nach der Formulierung der angestrebten Lösung als Ziel werden im Anschluss Ressourcen aktiviert, welche die Zielerreichung unterstützen sollen.

Der detaillierte Übungsablauf, zur Entwicklung der Zielorientierung ist Knörzer et al. (2011, S. 42–63) zu entnehmen.


Ressourcenaktivierung

Die Ressourcenaktivierung erfolgt üblicherweise in zwei Schritten.


Aufbau von Konzentration

Die Konzentration wird im HKT als Metaressource bezeichnet, da jedwede Form von Inkongruenzsituation konzentriert angegangen werden sollte.

Merkmale konzentrierten Handelns sind:

1.     Die Aufmerksamkeit richtet sich auf eine bestimmte Aufgabe bzw. Zielstellung. Konzentriertes Handeln ist demnach immer aufgaben- und zielorientiert.

2.     Die Handlungsperson fokussiert sich unter Ausblendung von Störfaktoren auf diese Aufgabe und schöpft so das vorhandene Potenzial voll aus.

(Knörzer, 2019, S. 44)

Wie der Zugang zu konzentriertem Handeln entwickelt wird, kann unter dem folgenden Videolink eingesehen werden: https://www.youtube.com/watch?v=qmie8sNWqfI&t=3s

Zudem wird auf die Konzentrationsarbeit in Knörzer et al. (2011, S. 64–76) verwiesen.


Aktivierung persönlicher Stärken

Der Aktivierung von Stärken, welche für die angestrebte Zielerreichung von unmittelbarem Nutzen sind, werden zwei Effekte zugeordnet.

Zum einen wird das Gefühl gefördert, dass das Ziel erreichbar ist. Dies wirkt sich positiv auf das subjektive Wohlbefinden aus und setzt im Gehirn Botenstoffe frei, welche die Lernbereitschaft erhöhen sowie die Leistungsfähigkeit steigern. Diese Verfassung bildet die Grundlage für erfolgreiche Zielverfolgung.

Neben diesem Effekt führt die Aktivierung der Stärken/Ressourcen zur Aktivierung des motivationalen Annäherungssystems. „Die ganze psychische Aktivität ist positiv und auf Annäherung ausgerichtet, statt auf Abwehr und Vermeidung“ (Grawe, 2004, S. 409). Durch diese Fokussierung und Aktivierung des Annäherungssystems wird das Vermeidungssystem aktiv gehemmt und negative Emotionen wie die Angst und die schon genannten Folgen können sich nicht entfalten.

Wie der Zugang zu den persönlichen Stärken entwickelt wird kann unter dem folgenden Videolink eingesehen werden: https://www.youtube.com/watch?v=svACh-d_t_s

Zudem wird auf die beschriebene Stärkenarbeit in Knörzer et al. (2011, S. 76–87) verwiesen.


Intentionsabschirmung

Auch wenn Menschen motivational attraktive Ziele formuliert haben, werden diese Ziele nicht automatisch erreicht. Gollwitzer (1999, S.499 ff.) beschreibt dies als Selbstregulationsproblem und empfiehlt zur Lösung der Lücke zwischen Intention und Handlung die sogenannten Wenn-Dann-Pläne.

Wie im HKT die Intentionsabschirmung entwickelt wird kann unter dem folgenden Videolink eingesehen werden: https://www.youtube.com/watch?v=4wqGQbelkAQ&t=28s

Zudem wird auf die Anleitung zur Intentionsabschirmung in Knörzer et al. (2011, S. 87–95) verwiesen.


Das HKT im Handlungsfeld Gesundheit

Da das Handlungsfeld Gesundheit für den vorliegenden Beitrag besonders relevant ist, soll an dieser Stelle dargestellt werden, wie das HKT in diesem Feld bereits genutzt wird.


Exkurs: Das HKT für kardiologische Rehapatienten – Rehaklinik Heidelberg-Königstuhl

Erstmalig wurde das HKT an der Rehaklinik Heidelberg-Königstuhl eingesetzt, um die dortigen Patient:innen bei deren nachhaltiger Verhaltensmodifikation zu unterstützen.  Bei Projektbeginn 2010 gestaltete sich die Ausgangslage folgendermaßen. Trotz der therapeutischen Arbeit im Sinne des biopsychosozialen Ansatzes, und des Einbeziehens und Aktivierens des Patienten in den Rehaprozess, war der Erfolg weitgehend auf schulungsnahe Ziele begrenzt. Der Einfluss auf langfristig gesundheitsförderliche Verhaltensmodifikationen war dagegen eher schwach.

Man kann die Situation so beschreiben, dass die Patienten wussten, was sie tun sollten und sie wollten es auch schaffen, aber sie konnten es langfristig nicht in den Alltag übertragen. Entsprechend dieser Ausganglage ergab sich für das HKT die Zielsetzung, die Patient:innen bei der Entwicklung ihrer Selbststeuerungsmechanismen zu unterstützen, sodass diese in der Lage waren, ihr Verhalten langfristig gesundheitsorientiert zu modifizieren und zu einem neuen Lebensstil zu finden (vgl. Nechwatal, 2012, S. 132). Explizid sollten im Rahmen der Studie die Themen Bewegung und Gewichtsabnahme adressiert werden. Inwieweit das HKT diesem Ziel gerecht werden kann, sollte im Rahmen einer Studie evaluiert werden. Der Studienrahmen wird hier unter Verweis auf die ausführliche Darstellung in Nechwatal (2012) kurz skizziert.

Neben dem verordneten Rehaaufenthalt, als Einschlusskriterium in die Studie, wurde mit jedem/jeder Patient:in ein Erstgespräch geführt. Dabei ging es um die Abklärung der individuellen Motivation hinsichtlich einer gesundheitlichen Lebensstiländerung, denn ohne die grundsätzliche Motivation würde das HKT als Volitionsprogramm nutzlos sein. Die Kontrollgruppe rekrutierte sich ebenfalls aus den Patient:innen der Rehaklinik Heidelberg Königsstuhl. Neben dem motivationalen Erstgespräch erhielten diese das bereits vorhandene Patientenedukationsprogramm.

Die HKT-Schulungen wurden von qualifizierten HKT-Instruktor:innen durchgeführt und erstreckten sich auf 4 Einheiten mit jeweils einer Zeitstunde.

Das Interventionsdesign stellte sich folgendermaßen dar und zielte auf mehr Bewegung und die Gewichtsabnahme ab.

Abbildung 3 (Nechwatal, 2019, S. 197)

Bezüglich der Gewichtsentwicklung zeigte sich gegenüber der Kontrollgruppe ein hoch signifikanter Gewichtsverlust, der nach der Entlassung nicht nur stabil blieb, sondern sich sogar verbesserte. Hinsichtlich des 6 Minuten Gehtests und der zurückgelegten Schritte zeigte sich ebenfalls eine hoch signifikante Steigerung, die dieses Niveau über den Studienzeitraum stabil halten konnte (vgl. Glatz & Nechwatal, 2017).

Aus diesen positiven Erfahrungen und Studienergebnissen liegt die Schlussfolgerung nahe, dass das HKT nicht nur in der kardiologischen Rehabilitation sinnvoll einzusetzen ist, sondern auch in weiteren Settings des gesundheitlichen Handlungsfelds.

In diesem Sinne wurde die Zusammenarbeit mit dem St. Josefskrankenhaus in Heidelberg gestartet, mit dem Ziel, Diabetespatient:innen bei der Bewältigung der im Zuge der Diabetesdiagnose notwendigen Verhaltensanpassungen, hin zu einem gesunden Umgang zu unterstützen. Im Folgenden wird das entwickelte Schulungsprogramm dargestellt.


Das HKT für Diabetiker – St. Josefskrankenhaus Heidelberg

Eine direkte Übertragung des an der Rehaklinik Heidelberg-Königstuhl erfolgreichen Schulungskonzeptes auf die diabetologische Tagesklinik am St. Josefskrankenhaus, erwies sich auf Grund der strukturellen Unterschiede in der Patientenversorgung als nicht möglich. Dies liegt vor allem an dem zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen von einer Schulungswoche. Folglich musste ein Konzept entwickelt werden, welches von den Patient:innen zeit- und ortsunabhängig durchgeführt werden kann und jederzeit zum Gebrauch zur Verfügung steht.

Um einen niederschwelligen Zugang zu ermöglichen wurden die folgenden Aspekte in die Entwicklung einbezogen:

1.     Die übliche HKT-Schulung umfasst 4 Zeitstunden. Dieser Zeitrahmen wird als zu umfangreich erachtet und deshalb auf zwei Stunden konzipiert.

2.     Übungen müssen ohne Hilfsmittel, Übungspartner: in, oder vorherige Planung umsetzbar sein.

3.     Erfahrungsgemäß sind analoge Methoden zur Adressierung des EG zunächst ungewohnt. Da durch die selbstgeführte Bearbeitung kein HKT-Experte zur Verfügung steht und Unsicherheiten moderieren kann, werden einfache Visualisierungsübungen gewählt.

Die folgende Darstellung gibt einen Überblick über das Schulungsangebot, welches auf der HKT-Strategie basiert.

Abb. 1 Schulungsprogramm- Mental Stark mit Diabetes umgehen

Materialien

Audiodateien und Begleitheft

Der Einführungspodcast soll Patienten auf die Möglichkeiten der Patienteneducation aufmerksam machen und einen ersten Einstieg in die Thematik des mentalen Trainings, im Kontext der Diabetesbehandlung geben und Neugierde entwickeln. Die Zielsetzung ist im HKT-Prozess eine zentrale Anforderung, auf welcher alle weiteren Schritte aufbauen. Auch in Präsenzschulungen bedarf dieser Schritt der gezielten Moderation und Unterstützung durch den Anleiter. Aus diesem Grund wurden „Epertenpodcasts“ zu drei Themengebieten entwickelt:

·       Adhärenz in der Selbstbehandlung

·       Bewegung und Diabetes

·       Ernährung und Diabetes

 Hier erhalten die Anwender:innen Anregungen zur Zielsetzung in drei für die Diabetestherapie relevanten Themengebieten und werden zur SMART-Zielsetzung befähigt. Zur Adressierung des Extentionsgedächtnisses wird dieser Teil mit einer Zielvisualisierung abgeschlossen. Die Ressourcenaktivierung fokussiert die Aktivierung persönlicher Stärken, denn gerade wenn es um Zielsetzungen zur Verhaltensänderung geht, ist das Gefühl wichtig, das Ziel aus eigener Kraft erreichen zu können, und das motivationale Annäherungssystem zu aktivieren.

Die Ressourcenaktivierung adressiert das Intentionsgedächtnis durch die rationale Auseinandersetzung mit den persönlichen Stärken, und wird wiederum durch eine Visualisierungsübung, zur Adressierung des Extentionsgedächtnisses abgeschlossen.  Die Abschirmung von Störungen erfolgt mittels der bereits beschriebenen Wenn-Dann-Pläne. Als Übung, die das Intentionsgedächtnis adressiert, wird auch dieser Schritt mit einer Visualisierungsübung abgeschlossen.

Mit dem Transfer in den Alltag erhalten die Anwender:innen ein Werkzeug, um das Ziel der Verhaltensänderung in eine neue Gewohnheit zu überführen. Ohne diesen Schritt ist die Gefahr groß, dass das Ziel der Verhaltensänderung nicht langfristig umgesetzt wird, denn Menschen orientieren sich an Gewohnheiten, die Sicherheit geben. Um das Ziel im Fokus zu halten und im Alltag die neuen Gewohnheiten nicht zugunsten der alten Gewohnheiten aus dem Fokus zu verlieren, bedarf es gezielter Wiederholung und dem Feiern von Erfolgen.

Gezielte Wiederholung ist wichtig, denn während der Bearbeitung der Schulung wurden im Gehirn neue Verknüpfungen geschaffen. Hirnforscher bezeichnen diese neuen Verknüpfungen bildhaft als mentale Trampelpfade. Diese Trampelpfade verschwinden jedoch wieder, wenn man sie nicht regelmäßig nutzt. Deshalb ist es wichtig, durch gezieltes Wiederholen aus dem Trampelpfad eine vielbefahrene Straße zu bauen.


Inhaltsverzeichnis

Amler, W., & Knörzer, W. (2019). Zur Entwicklung des Heidelberger Kompetenztrainings (HKT). In W. Knörzer, W. Amler, S. Heid, J. Janiesch, & R. Rupp (Hrsg.), Das Heidelberger Kompetenztraining: Grundlagen, Methodik und Anwendungsfelder zur Entwicklung mentaler Stärke (S. 2–8). Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24397-5_14

Damasio, A. (1994). Descartes´ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. List.

Fredrickson, B. (2011). Die Macht der guten Gefühle: Wie eine positive Haltung ihr Leben dauerhaft verändert. Campus-Verlag.

Glatz, L., & Nechwatal, R. (2017). Heidelberger Kompetenztraining (HKT) zur nachhaltigen Lebensstiländerung in der kardiologischen Rehabilitation. https://www.psychotherapie.uni-wuerzburg.de/termine/dateien/GlatzNechwatal-RehaSeminar-20170503-HKT.pdf

Gollwitzer, P. M. (1999). Implementation intentions: Strong effects of simple plans. American Psychologist, 54(7), 493–503.

Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Hoegrefe.

Knörzer, W. (2019). Grundlegende Prinzipien des HKT. In W. Knörzer, W. Amler, S. Heid, J. Janiesch, & R. Rupp (Hrsg.), Das Heidelberger Kompetenztraining Grundlagen, Methodik und Anwendungsfelder zur Entwicklung mentaler Stärke (1. Aufl.). Springer Nature. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-24397-5

Knörzer, W., Amler, W., & Rupp, R. (2011). Mentale Stärke entwickeln: Das Heidelberger Kompetenztraining in der schulischen Praxis. Beltz.

Kuhl, J. (2001). Motivation und Persönlichkeit: Interaktionen psychischer Systeme. Hogrefe Verlag für Psychologie.

Kuhl, J., & Srehlau, A. (2009). Handlungspsychologische Grundlagen das Coaching: Anwendung der Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI). In B. Birgmeier (Hrsg.), Coachingwissen: Denn sie wissen nicht, was sie tun? (1. Aufl). VS Verl. für Sozialwissenschaften.

Kuhl, U., Krug, J. S., & Eichholz, A. (2010). Alles nur Herausforderung? : Herausforderung und Bedrohung als leistungsbestimmende Faktoren im Spitzensport. Leistungssport, 40(5), S. 8-14.

Locke, E. A., & Latham, G. P. (1990). A theory of goal setting & task performance. Prentice Hall.

Nechwatal, R. (2019). Das HKT im Bereich der Medizinischen Rehabilitation. In W. Knörzer, W. Amler, S. Heid, J. Janiesch, & R. Rupp (Hrsg.), Das Heidelberger Kompetenztraining: Grundlagen, Methodik und Anwendungsfelder zur Entwicklung mentaler Stärke (S. 129–134). Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24397-5_14

Storch, M. (2009). Motto Ziele, S:M:A:R:T:-Ziele und Motivation. In B. Birgmeier (Hrsg.), Coachingwissen: Denn sie wissen nicht, was sie tun? (1. Aufl). VS Verl. für Sozialwissenschaften.

[1] Vermeidungsziele lenken die Aufmerksamkeit darauf, etwas zu vermeiden und erfordern ständige Kontrolle, denn man muss ständig feststellen, ob das, was man vermeiden möchte auch wirklich nicht da ist, oder im nächsten Moment eintritt. Folglich sind sie im Gegensatz zu Annäherungszielen überwiegend von negativen Emotionen begleitet, und es treten bestenfalls positive Emotionen in Form von Erleichterung ein, dass die Befürchtung nicht eingetreten ist. Bei Annäherungszielen kann dagegen einfach festgestellt werden, wie weit man auf dem Weg zum Ziel gekommen ist, und der Weg kann zudem in Unterziele unterteilt werden, deren Erreichung wiederum zu positiven Emotionen führt (Grawe, 2004, S. 278 ff.).

[2] Die „SMART“- Kriterien basieren auf der Zielpsychologie und wurden von Locke und Latham (1990) entwickelt.

[3] Motto-Ziele sind dem Züricher Ressourcenmodell zuzuordnen (ZRM) (Storch, 2009).

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